Artenschutz

Gefährdung

Landwirtschaftlich lediglich extensiv genutzten Offenland-Lebensräume haben für Stechimmen eine besonders große Bedeutung. Obwohl es bedingt durch verschiedene dynamische Prozesse (Feuer, temporäre Überschwemmungen in Flussauen, Insektenkalamitäten) und durch die Wirkung von Herden großer Weidetiere (Pferde und Rinder) vermutlich auch vor Beginn der Waldrodung durch den Menschen größere offene oder halboffene Lebensräume in Mitteleuropa gegeben hat, sind derartige Lebensräume in großem Umfang hier wohl erst durch die Aktivität des Menschen entstanden. Viele dieser Lebensräume erlitten in den letzten 150 Jahren bedingt durch verschiedene Faktoren starke Bestandsrückgänge. So wurde beispielsweise die Fläche der Zwergstrauchheiden des norddeutschen Tieflandes von ca. 1,5 Mio. ha um 1900 auf gegenwärtig etwa 10.000 ha reduziert (SCHMAL 1984 und DRACHENFELS et al. 1984 in HEIDE & WITT 1990). Die wichtigsten Ursachen, die zum Verlust bedeutender Stechimmenlebensräume im Offenland, aber auch im Wald beigetragen haben bzw. bestehende Lebensräume bedrohen, werden nachfolgend dargestellt.

Ausgeräumte Feldflur in der Warburger Börde, hier fehlt Stechimmen jegliche Existenzgrundlage
© Ch. Venne
Naturferner Mischwald: Wald-Kiefern-Monokultur mit Strauchschicht der neophytischen Spätblühenden Traubenkirsche in der Senne
© Ch. Venne
Zwergstrauchheide mit aufkommender Brombeer-Sukzession
© Ch. Venne
Menschliches Wirken prägt vielerorts die Landschaft:
Autobahn, Hochspannungstrasse, Sandabgrabung
© Ch. Venne
Landwirtschaft

Die Weiterentwicklung landwirtschaftlicher Bewirtschaftungstechniken führte in den meisten Kulturlandschaften Deutschlands durch eine allgemeine Nutzungsintensivierung zu starken Veränderungen. Nach dem 2. Weltkrieg fand durch Mechanisierung der Melioration (Entwässerung, Bodennivellierung, mineralische Düngung), Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide und Flurbereinigung ein tiefgreifender Wandlungsprozess statt. Die Schlaggrößen wurden drastisch vergrößert und viele traditionelle Bewirtschaftungsformen wie z.B. Plaggenwirtschaft, Wanderschäferei oder Flößwiesennutzung aufgrund ihrer Unrentabilität aufgegeben. Diese Veränderungen führten zu deutlichen Auswirkungen auf die mittlerweile an Kulturlandschaften gebundenen Pflanzen- und Tierarten und manifestierten sich bei vielen Arten bis heute in messbaren Bestandsrückgängen. Stechimmen waren und sind hier insbesondere durch Umnutzung wertvoller Lebensräume (auch Kleinstlebensräume) und Reduktion des Blütenangebotes im Grünland betroffen. Freiwillige und unfreiwillige Landwirtschaftsprogramme (z.B. Kulturlandschaftsprogramm, Förderprogramm „artenreiche Feldflur“ oder EU-Flächenstilllegungsprogramm) trugen in jüngerer Vergangenheit zur Entschärfung der geschilderten Entwicklung bei, wurden jedoch teilweise. aufgrund aktueller Entwicklungen im Landwirtschafts- und Energiesektor gegenwärtig wieder ausgesetzt, schlechter ausgestattet oder sind in ihrem Fortbestand bedroht. Nur schwer einzuschätzen sind Auswirkungen einer erstarkenden Gentechnologie auf blütenbesuchende Insekten. Hier herrscht noch Forschungsbedarf.

Forstwirtschaft

Für unsere Wälder ist auf lange Sicht in der Fläche eine deutlich Entwicklung hin zum totholzarmen und durch Monokultur geprägten Altersklassenwald mit geringem Anteil an echten Altholzbeständen (150 Jahre bis zur Zerfallsphase) zu verzeichnen. Ein weiteres Charakteristikum ist der verstärkte Einsatz produktiver, jedoch standortfremder oder sogar neophytischer Gehölze (insb. Koniferen) und die zunehmende Industrialisierung des Holzeinschlags. Starke Auswirkungen hatte die Forstwirtschaft in Verbindung mit der Landwirtschaft auch auf die heute i.d.R. als geradlinige Vegetationsversprünge ohne harmonische Übergänge ausgebildeten Waldränder, die in naturnäherem Zustand für Stechimmen eine hohe Bedeutung haben können. Die Intensvierungsmaßnahmen haben sich durch Reduktion des Strukturreichtums negativ auf die vergleichsweise wenigen echten Waldarten unter den Stechimmen und auf die Waldrandarten ausgewirkt. Dieser Nutzungsintensivierung steht eine Extensivierung bis hin zur Aufgabe der landwirtschaftlichen Waldnutzung (Hude) innerhalb der Wälder gegenüber, die zu einem deutlichen Rückgang lichterer Wälder, die für zahlreiche Wärme liebende Stechimmenarten attraktiv sind, führte.

Die gesetzlichen Bestimmungen zur Eingriffs- und Ausgleichsregelung führten in den letzen Jahrzehnten (häufig auf Kosten extensiv genutzter Offenlandbereiche) zu einer deutlichen Zunahme der Waldkulisse. Diese leitete im Verbund mit der auch aufgrund klimatischer Veränderungen zunehmend an Bedeutung gewinnenden Förderung von Mischwaldbeständen und der Verlängerung der Umtriebszeiten eine Verbesserung der Gesamtsituation der Wälder ein. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Holz als Energieträger ist langfristig jedoch außerhalb von Vertragsflächen (Naturwaldzellen, Nutzungsablösungen in FFH-Gebieten) vermutlich nicht mit einer nachhaltigen Steigerung des Alt- und Totholzanteils zu rechnen.

Eutrophierung durch Lufteintrag

Auch abseits landwirtschaftlicher Nutzungsschwerpunkte droht extensiv bewirtschafteten, nährstoffarmen Offenlandlebensräumen und Wäldern eine durch Lufteintrag aus Industrie, Land- und Forstwirtschaft ausgelöste, schleichende Nährstoffanreicherung. Die Ausbreitung von Nitrifizierungszeigern wie Brennessel oder Brombeere führen gerade dort, wo Ereignisse, die zur Reduktion der Nährstoffe beitragen, dauerhaft fehlen, zu wachsenden Problemen (z.B. auf Zwergstrauchheiden, wo historische Nutzungsformen wie der Plaggenhieb seit Jahrzehnten fehlen). Um einem schleichenden Wandel der Vegetationszusammensetzung derartiger Biotope entgegenzuwirken, werden z.T. kostenintensive Pflegemaßnahmen notwendig, die die Pflegekonzepte in Frage stellen.

Siedlungs- und Straßenbau

Obwohl sich der Flächenverbrauch aufgrund der demographischen Entwicklung zukünftig vermutlich weiter abschwächen wird, kommt es bis heute durch die Ausweisung von Bau- und Industriegebieten und durch Straßenbauprojekte zur Zerstörung und Zerschneidung wertvoller Stechimmenlebensräume, die durch Ausgleichsmaßnahmen i.d.R. nicht kurzfristig kompensiert werden können.

Schutz

Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Stechimmenschutz ist die Erhaltung der bedeutsamen Stechimmen-Lebensräume (Schutz vor Bebauung, Umnutzung, Zerschneidung, Beeinträchtigung) und der für Stechimmen bedeutsamen Habitatrequisiten. Da die überwiegende Zahl der heimischen Stechimmenarten Offenlandlebensräume bewohnt, bedeutet Lebensraumschutz für Stechimmen in erster Linie auch Erhaltung, Pflege und Entwicklung von extensiv genutzten Offenlandlebensräumen. Viele der für Stechimmen bedeutsamen Lebensräume (z.B. offene Binnendünen, Sandmagerrasen und Zwergstrauchheiden, Kalkmagerrasen) finden sich in Nordrhein-Westfalen heute fast ausschließlich innerhalb der Kulisse von Schutzgebieten (FFH-Gebiete, Vogelschutzgebiete, Naturschutzgebiete). Sie stellen häufig Relikte alter Kulturlandschaftsformen (z.B. Heidebauerntum, Hüteschafhaltung) dar und sind deshalb auch heute in ihrem Fortbestand auf ein geeignetes und z.T. kostenintensives Pflegemanagement angewiesen, in dem zukünftig auch die Belange von Stechimmen eine erkennbare Berücksichtigung finden müssen. Andernfalls ist der Fortbestand zahlreicher Arten auch innerhalb der Schutzgebiete nicht sichergestellt. Neben den in Abhängigkeit von der Nutzung notwendigen Maßnahmen zur Offenhaltung (Mahd, Beweidung) extensiv genutzter Offenlandflächen und einem ausreichenden Biotopverbund sind fortwährende Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen bezüglich der folgenden Habitatrequisiten für Stechimmen erforderlich.

Durch Abschieben des Acker-Oberbodens und extensive Beweidung entwickelter, blütenreicher Sandmagerrasen in der Senne
© Ch. Venne
Schaffung neuer Rohbodenstandorte durch Naturschutzmaßnahmen
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Totholz hat für zahlreiche Stechimmenarten eine hohe Bedeutung als Nistplatz
© Ch. Venne
Blütenangebot

Nahezu alle Stechimmenarten sind zur Versorgung ihrer Brut und/oder zur Eigenversorgung auf ein gut ausgeprägtes Blütenangebot angewiesen. Besonders für die Bienenarten, die Pollen und Nektar zur Brutverproviantierung benutzen, stellt das Blütenangebot häufig einen limitierenden Faktor dar. Dies wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass beispielsweise die Scherenbiene Chelostoma rapunculi zur Verproviantierung einer einzigen Brutzelle etwa 22 Blüten der Wiesen-Glockenblume (Campanula patula) oder 37 Blüten der Rundblättrigen Glockenblume (Campanula rotundifolia) oder eine ähnlich hohe Blütenzahl anderer Glockenblumen benötigt (MÜLLER et al. 2006). Vor diesem Hintergrund bekommt die Berücksichtigung von Stechimmen im Pflegemanagement von Naturschutzflächen eine größere Bedeutung. Ein ungünstig gewählter Mahdzeitpunkt oder eine Überbeweidung zum falschen Zeitpunkt kann verheerende Auswirkungen insbesondere auf Populationen oligolektischer Wildbienenarten haben. Aprobates Mittel zur qualitativen und quantitativen Verbesserung des Blütenangebotes auf landwirtschaftlich genutzten Flächen ist die mit einer Nutzungsextensivierung einhergehende Reduktion der Düngegaben. Ein wichtiges Förderinstrument stellt in diesem Zusammenhang das Kulturlandschaftsprogramm (KULAP) dar.

Rohboden

Weiteres wichtiges Pflegeziel gerade im Hinblick auf die Stechimmen sollte die Erhaltung bzw. Neuschaffung offener Rohbodenstandorte sein. Dieses Lebensraumelement hat für zahlreiche heute größtenteils selten gewordene Arten eine hohe Bedeutung als Nist- und Lebensraum. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um grabende Stechimmenarten. In den sandgeprägten Bereichen beispielsweise der Westfälischen Bucht fehlen seit der großflächigen Aufgabe des Plaggenhiebs vielerorts Ereignisse, die zur Rückführung der Vegetation auf die ersten Sukzessionsstadien beitragen. Dies führte zu einem Rückgang offener Sandlebensräume. Mechanische Verletzungen der Grasnarbe treten heute nur noch kleinflächig im Bereich von Wirtschafts- und Wanderwegen auf. Verursacher sind landwirtschaftliche Fahrzeuge, Wanderer, Radfahrer und Reittiere. Großflächig fungieren Sandabgrabungen und innerhalb der militärisch genutzten Bereiche Fahrzeugbewegungen zu Manöverzwecken als solche Ereignisse (Panzertracks, Fahrzeugübungsgelände). Heute entstehen in manchen Gebieten auch im Rahmen gezielter Naturschutzmaßnahmen offene Bodenstellen durch kleinflächiges manuelles Abplaggen oder flaches Abschieben mit dem Bagger. Sand- und Kiesabgrabungen können aufgrund der durch die Abbauaktivitäten offengelegten Bodenpartien als wichtiger Sekundärlebensraum für Stechimmen und andere Tiergruppen, die auf Rohbodenstandorte angewiesen sind, fungieren.

Totholz

Weiteres prioritäres Ziel des Stechimmenschutzes muss eine systematische Erhöhung des Totholzanteils im Einzugsbereich von Stechimmenlebensräumen sein. Besonntes Totholz im Wald, im Waldrandbereich oder im Offenland hat eine große Bedeutung als Nistplatz für sehr viele Stechimmenarten und sollte bei Durchforstungen unbedingt geschont werden. Stechimmen nisten hier in Hohlräumen und von Käferlarven genagten Fraßgängen. Dort, wo Totholz fehlt und in absehbarer Zeit auch nicht entwickelt werden kann, lässt sich für holzbewohnende Stechimmenarten viel durch die Aufstellung künstlicher Nisthilfen erreichen. Da viele Arten auch im Siedlungsbereich geeignete Lebensräume finden, können für sie durch Verbesserungen im Blütenangebot und durch künstliche Niststrukturen auch in jedem Garten schon mit wenig Aufwand bemerkenswerte Ergebnisse in puncto Stechimmenschutz erzielt werden.